Ein komisches WM-Finale
- norbertockenga
- 6. Apr.
- 3 Min. Lesezeit
Immer extremere Rillen im Eis sorgen für ein zerfahrenes Finale der WM – und für eine Zweiklassengesellschaft im Feld.
Am Morgen wird zunächst Mal Baggerfahren gespielt. Der erste Weg von Martin Haarahiltunen am Morgen des WM-Finals in Heerenveen führt schnurstracks in jenen Verschlag, in dem Niclas Svensson seine Maschinen zu stehen hat.
Dort schaut ihn Elliot Sven Svensson von unten erwartungsvoll an – der kleine Sohn von Niclas Svensson und dessen Lebensgefährtin Irina Vikström. Haarahiltunen hockt sich zu ihm und schiebt den auffordernd hingerollten Plastikbagger hin und her. Danach folgt ein ausgiebiger Austausch mit Vater und Sohn Stefan und Niclas Svensson über die Kupplungsmaleschen vom Vortag, gespickt mit praktischen Tipps von Vater Stefan.
Dabei müsste der mit seinem Wissen eigentlich hinterm Berg halten: Sein Sohn muss in der Tagesendwertung um mindestens zwei Plätze vor Haarahiltunen landen, um so wenigstens noch ein Stechen um den WM-Titel zu erzwingen. Aber die beiden Titelanwärter sind seit Jahren eng befreundet, das schließt auch ihre jeweiligen Familien in Örnsköldsvik mit ein.
Oder halt im Fahrerlager der Eisspeedwayrennen.

Am Nachmittag setzt Svensson seinem Kumpel ganz schön zu. Er gewinnt seine ersten beiden Vorläufe – während Haarahiltunen in seinem zweiten Heat von Max Koivula in der Startkurve rüde geschnitten und er daher nur Zweiter wird. Der Finne hat als Tabellendritter auch noch theoretische Titelchancen – und präsentiert sich am Sonntag rauflustiger als am Abend zuvor.

Ab dem vierten Vorlaufdurchgang ist das Eis eingangs der Startkurve derart zerfurcht, dass die Maschinen wilde Bocksprünge vollführen, wenn man sie auf dem mittleren Radius platzieren möchte. Haarahiltunen und Huusko hüpfen in ihrem Heat in diesem Block im Kampf um die Führung mehrfach nur um Millimeter an einer Kollision vorbei. Der Schwede setzt sich durch und bleibt so den beiden weiter ungeschlagenen Svensson und Koivula auf den Fersen.
Die begegnen sich in Lauf 15. In der ersten Kurve wird es derart haarig, dass Koivula beinahe abgeworfen wird. Er kann sich zwar noch vom dritten auf den zweiten Platz vorarbeiten, doch nun ist nur noch Svensson ungeschlagen.
Huusko lässt sich längst nur noch im Rollstuhl vom Fahrerlager zum Vorstarttunnel kutschieren, damit ihm jeder unnötige Schritt erspart bleibt. Dennoch liefert er sich bis zum letzten Durchgang trotz seiner Fußsohlenwunde einen Dreikampf mit Jasper Iwema und dem immer stärker werdenden Jimmy Olsén um den letzten Finalplatz, fällt dann aber in Heat 17 nach mehreren Aufsteigern auf ruppigem Eis. Das Meeting wird zusehends zerfahrener, mit ellenlangen Bahndiensten, Startabbrüchen, Sturzunterbrechungen und großen Leistungsgefällen.„Hier fahren zwei Welten“, fällt Bernd Sagert, dem Teammanager der Deutschen Eisspeedwaynationalmannschaft, auf.
In der ersten Liga, deren Fahrten auch auf Eis mit Rillen wie Pflugfurchen noch wirken, als hätten sie die Maschinen im Griff, agieren lediglich die drei WM-Anwärter Svensson, Haarahiltunen und Koivula. Alle Anderen schwanken zwischen Chauffeur und Passagier ihrer Motorräder. Und im letzten Vorlauf erwischt es sogar den bis dahin Ungeschlagenen: Svensson stürzt, trotz schon erklecklichen Vorsprungs auf Haarahiltunen. Weil der Crash in der letzten Kurve geschieht, wird das Rennen gewertet. Haarahiltunen und Koivula liegen dank des Nullers von Svensson plötzlich punktgleich in Front.
Iwema gesellt sich als Vierter zu ihnen ins Finale. Svensson übernimmt vom Start weg die Führung. Koivula verdrängt Haarahiltunen in der ersten Ecke auf Rang 3, muss sich sogar gegen Iwema wehren.
Kippt gerade die WM?
Iwema kann Haarahiltunen abschütteln. Doch Koivula scheint auf Platz 2 zu weit weg. Also doch ein Stechen?
Unter Druck von Haarahiltunen stürzt Koivula in Runde 3. Schiedsrichterin Christina Turnbull aus Schottland wertet das abgebrochene Rennen – und schließt Koivula aus. Damit steht Haarahiltunen erneut als Weltmeister fest.
Mehr Hintergründe aus dem Fahrerlager nach der WM-Entscheidung folgen am Montag auf bahndienst.com. In der Zwischenzeit kann man sich ja noch mal das höchst informative Video vom Samstagabend anschauen – mit vielen fesselnden Interviews und Einblicken hinter die Kulissen.
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